Philosophie, Argumentation und öffentliche Debatte vermitteln

David Lanius

Philosophie, Argumentation und öffentliche Debatte vermitteln

David Lanius

Wie argumentieren Rechtspopulisten?

Eine Argumentationsanalyse am Beispiel des AfD-Wahlprogramms

Rechtspopulisten beanspruchen, die eigentlichen Probleme der Gesellschaft zu benennen und eine Lösung für sie zu bieten. Die AfD behauptet beispielsweise in dem Ende 2016 entstandenen Strategiepapier für die Bundestagswahl 2017, dass Wähler sie für „grundsätzlich wählbar“ halten, „weil sie Themen anspricht und Dinge beim Namen nennt, die den Altparteien nicht wichtig genug oder unlieb sind oder auf die die Altparteien keine Antwort haben“. Daher lebe sie gut, so heißt es in dem Strategiepapier, als „Tabubrecherin und Protestpartei“.
Dafür muss es jedoch Tabus und Missstände geben, die man brechen beziehungsweise gegen die man protestieren kann. Klassischerweise prangern Rechtspopulisten die Tabus der „Lügenpresse“ und der „politischen Korrektheit“ sowie die Missstände der „etablierten Politik“ an. Während die „korrupten Eliten“ durch Inkompetenz und Böswilligkeit die eigentlichen Probleme überhaupt erst verursachten, würden die „Gutmenschen“ sie in ihrer Blindheit einfach verdrängen. Die Bedrohung unserer Gesellschaft durch „Flüchtlingskrise“, „EU-Diktat“ und „Islam-Terror“ sei imminent und nur durch jemanden zu beseitigen, der außerhalb des Systems stünde – hierzulande durch die „Alternative für Deutschland“ abseits der unnützen „Alt-Parteien“ und in den USA durch Donald Trump, den starken Mann außerhalb des „establishment“ und politischen Sumpfes, den es auszutrocknen gelte.
Die Bedrohung kann dabei in dem Verfall der inneren Sicherheit, der ungerechten Steuerpolitik der Regierung, der Globalisierung, der kulturellen Gefährdung durch den Islam oder, am prominentesten in Deutschland, in der „Flüchtlingskrise“ bestehen. Einig sind sich die modernen Rechtspopulisten darin, dass unmittelbarer Untergang, Chaos und Desaster für „das Volk“ drohe.

Wie argumentieren Rechtspopulisten?

Das Muster der rechtspopulistischen Strategie scheint folgendes zu sein: Man greife berechtigte oder unberechtigte Ängste und Zweifel in der Bevölkerung auf, nähre sie mit entsprechenden Untergangsszenarien und präsentiere sich anschließend als alternativloser Retter in der Not. Dieses Muster lässt sich durchweg in den politischen Argumentationen von Rechtspopulisten finden. Es scheint dem Rechtspopulismus inhärent zu sein.
Im Folgenden werde ich dieses Muster herausarbeiten und als das „Kernargument des Populismus“ bezeichnen. Dazu werde ich den Begriff des Rechtspopulismus etwas näher beleuchten (Abschnitt 1), das Kernargument in seiner allgemeinen Form skizzieren und dann am Beispiel des Wahlprogramms der AfD ausführen (Abschnitt 2) und abschließend ein Fazit ziehen (Abschnitt 3).

1. Was ist Rechtspopulismus?

Was verbirgt sich hinter den bisweilen geradezu beliebig anmutenden Behauptungen von Donald Trump, Marine Le Pen, Jarosław Kaczyński, Geert Wilders, Victor Orbán, Matteo Salvini, und den Politikern der AfD? Was zeichnet Rechtspopulismus aus?
Der Begriff „Rechtspopulismus“ ist in erster Linie ein Wertbegriff. Als solcher drückt er eine (negative) Wertung aus. Normalerweise bezeichnen wir den politischen Gegner als „rechtspopulistische Partei“. Der Begriff „Rechtspopulismus“ wird in der Regel als politischer Kampfbegriff und dabei sehr unterschiedlich verwendet.

1.1 Sprache und Form

Viele verstehen unter „Rechtspopulismus“ einfach nur eine besondere Art von Politik oder politischer Sprache, die vereinfachend oder besonders volksnah zu sein scheint. Heribert Prantl (2017) beispielsweise sieht das wesentliche Merkmal von Populismus in der Volksnähe seiner Sprache und politischen Forderungen. Er grenzt Populismus von extremistischem Populismus ab und argumentiert, dass Populismus in seiner milden Variante durchaus demokratisch und sogar demokratieförderlich ist.
Dieser Fokus auf den Aspekt der Volksnähe verleitet manche zu glauben, dass Rechtspopulisten gar nicht wirklich argumentieren, sondern einfach nur populäre Forderungen in den Raum werfen. Sie reden „dem Volk“ nach dem Mund.
Das scheint auf den ersten Blick Rechtspopulismus gut zu beschreiben. In der Tat vereinfachen Rechtspopulisten oft komplexe Sachverhalte. In der Tat sind ihre Forderungen und Feststellungen oft nicht auf empirische Daten gestützt. In der Tat sprechen ihre Forderungen oft auf emotionale Weise bestimmte Bevölkerungsgruppen an. Dies ist jedoch nicht dasselbe wie Mangel an Argumentation oder argumentative Schwäche.
Im Gegenteil können Argumente umso stärker vorgebracht werden, je weniger sie sich auf verifizierbare Prämissen stützen müssen und stattdessen auf Prämissen stützen können, die bereits vorhandene Meinungen bestätigen oder bereits vorhandene Emotionen ansprechen und verstärken. Die Wahrheit oder Belegbarkeit dieser Behauptungen spielt dabei keine Rolle.
Wichtig ist allein die Mobilisierungskraft des Gesagten. Rechtspopulisten (allen voran Trump) haben gezeigt: Um politisch erfolgreich zu sein, muss man sich gar nicht erst um mögliche Rechtfertigungen, ja nicht einmal um Nähe zur Wahrheit, bemühen.

1.2 Rechtfertigungskontext und „alternative Fakten“

Worauf es ankommt, ist die Fähigkeit, sich überhaupt nur in Kontexten zu äußern, in denen keine Rechtfertigung erwartet wird. Das „post-faktische Zeitalter“ ist also nicht davon geprägt, dass Lügen, Propaganda und Desinformationen verbreitet werden (das ist nur der Kollateralschaden), sondern dass die großen „Volksversteher“ (allen voran die Autokraten Putin, Erdogan und Trump) sich gar nicht genötigt sehen, ihre Vorhaben rechtfertigen zu müssen.
Es ist also zweitrangig, ob Rechtspopulisten ihre Behauptungen belegen können. Es reicht, sie mit der entsprechenden Haltung als „alternative Fakten“ zu verkünden. Denn schließlich sehen sich Rechtspopulisten als die einzigen, die den „Volkswillen“ kennen und die eigene Gesellschaft vor dem bevorstehenden Untergang bewahren können.
Ein Merkmal rechtspopulistischer Argumentation ist also die fehlende Bereitschaft, sich zu rechtfertigen. Donald Trump begibt sich gezielt in Situationen, in denen seine Äußerungen nicht direkt hinterfragt werden können (wie zum Beispiel auf Twitter). Das entspricht seinem Bild von sich als „starker Mann“, der vor niemandem Rechenschaft ablegen muss.
Diese Haltung hat auch einen strategischen Aspekt, wie der Historiker Habbo Knoch konstatiert. Dadurch kann Donald Trump „alternative Fakten“ postulieren, die seine Unterstützer emotional ansprechen.
Das ist jedoch etwas anderes, als für seine Behauptungen keine Gründe zu geben. In der Tat begründen rechtspopulistische Politiker wie Donald Trump sehr regelmäßig und sehr nachdrücklich ihre Forderungen.

1.3 Inhalt und Alleinvertretungsanspruch

Anders als bei Heribert Prantl, der sich auf die Form rechtspopulistischer Äußerungen konzentriert, verhält es sich mit Jan-Werner Müller (2016). Jan-Werner Müller argumentiert, dass Populisten nicht an der sprachlichen Form ihrer politischen Forderungen erkannt werden können, sondern an ihrem Alleinvertretungsanspruch, als Einzige für das „wahre“ Volk zu sprechen.
Rechtspopulisten sehen sich als die direkten Vertreter des „Volkes“, welches als eine natürliche und homogene Grundmenge in der Bevölkerung idealisiert wird. Inhaltlich bestimmend für Rechtspopulismus ist eine Identitätspolitik, in der eine bedrohte Gemeinschaft, das „Volk“, konstruiert wird.
Ihm gegenüber wird eine korrupte, unfähige und volksferne politische Klasse konstruiert. Karin Priester (2012) sieht die Wesensmerkmale des Rechtspopulismus daher in der „Berufung auf den common sense, Anti-Elitarismus, Anti-Intellektualismus, Antipolitik, Institutionenfeindlichkeit sowie Moralisierung, Polarisierung und Personalisierung der Politik“. Rechtspopulisten sehen also das „Volk“ (und damit sich selbst als deren „Stimme“) in einem politischen und moralischen Kampf gegen das System.
Parallel dazu sehen sie das „Volk“ auch von äußeren Feinden bedroht. Diese können die Form von Minderheiten wie Immigranten, Geflüchteten, Homosexuellen und Juden oder die Form von ausländischen Investoren, ausländischen Geheimdiensten oder der Europäischen Union einnehmen.

1.4 Zusammenfassung

Man kann Rechtspopulismus also an mindestens drei Dingen festmachen. Erstens, Rechtspopulismus erkennt man an seiner sprachlichen Form. Beispielsweise daran, dass Rechtspopulisten komplexe Sachverhalte übermäßig vereinfachen und eine „volksnahe“ Sprache verwenden.
Zweitens, Rechtspopulismus erkennt man an seinem Inhalt. Rechtspopulisten bedienen bestimmte spezifisch „rechtspopulistische“ Themen. Sie setzen sich zum Beispiel für eine Rückkehr zum Nationalismus und gegen Minderheiten ein.
Drittens, Rechtspopulismus erkennt man an seinem Alleinvertretungsanspruch. Sie beanspruchen, allein den „Willen des Volkes“ zu kennen.
All diese Charakterisierungen erfassen wichtige Aspekte von dem, was unter „Rechtspopulismus“ verstanden werden kann. Ich möchte in meiner Analyse zeigen, dass man Rechtspopulismus auch als eine bestimmte argumentative Strategie ansehen kann. Gerade wenn wir uns auf die Rechtspopulisten unter den Populisten konzentrieren, gibt es ein Kernargument, das sich bei allen gängigen Vertretern in Europa und darüber hinaus finden lässt. Dieses Kernargument lässt sich auch im Wahlprogramm der AfD finden.

2. Das Kernargument des Populismus

Das AfD-Wahlprogramm habe ich mit den Mitteln der Argumentationsanalyse von Gregor Betz und Georg Brun (2016) rekonstruiert. Es handelt sich dabei um eine Analysemethode, die aufgrund ihrer Detailgenauigkeit eine vergleichbar hohe Klarheit in den Analysegegenstand bringen kann.
Ich habe in dieser Analyse versucht die Argumente der AfD möglichst plausibel, kohärent und stark zu machen. So habe ich die Argumentation des AfD-Wahlprogramms in einem ersten Schritt lediglich rekonstruiert, ohne sie direkt zu kritisieren. Doch kann eine Argumentrekonstruktion nie vollkommen objektiv sein. Sie ist ein interpretativer Akt und damit immer auch durch eine bestimmte Sichtweise geleitet. Sie ist eine Art (von mehreren möglichen Arten), wie man das AfD-Wahlprogramm lesen kann.
Die Anwendung der Analysemethode von Gregor Betz und Georg Brun auf das AfD-Wahlprogramm offenbart ein argumentatives Muster, nach dem (mehr oder weniger explizit) alle Populisten operieren – das „Kernargument des Populismus“. Wie also argumentiert die AfD?
Im Alltag verstehen wir unter einem Argument eine begründete Behauptung. Genau genommen ist ein Argument jedoch eine Menge von Aussagen, von denen eine oder mehrere Aussagen eine weitere Aussage begründen. Die Aussage, die begründet wird, nennen wir Konklusion. Die Aussagen, die sie begründen, nennen wir Prämissen.
Sehen wir uns also das Kernargument des Populismus an:
<Kernargument>: Die Populisten sind die einzige Rettung der Gesellschaft vor dem Untergang.
(1)
[Untergang]: Die Gesellschaft steht vor dem Untergang und muss gerettet werden.
(2)
[Rettung]: Die Gesellschaft kann nur gerettet werden, wenn die Populisten an die Macht kommen.
(3)
[Macht]: Die Populisten müssen an die Macht kommen.
Die erste Prämisse besagt also, dass die Gesellschaft vor dem Untergang steht und gerettet werden muss. Sie hat die Bezeichnung [Untergang]. Die zweite Prämisse besagt, dass die Gesellschaft nur gerettet werden kann, wenn die Populisten an die Macht kommen. Sie hat die Bezeichnung [Rettung]. Die Konklusion des Arguments <Kernargument> besagt, dass die Populisten an die Macht kommen müssen. Sie hat die Bezeichnung [Macht].
Auf dieser Argumentkarte ist das Argument verbildlicht:

Kernargument

(Die Argumentkarten können auch als pdf in einem separaten Fenster geöffnet werden. Die weißen Boxen mit der farbigen Umrandung stehen für einzelne Aussagen wie Prämissen oder Konklusionen. Die farbigen Boxen stehen dagegen für ganze Argumente.)
Die Konklusion [Macht] folgt logisch aus den beiden Prämissen [Untergang] und [Rettung]. Es ist also nicht möglich, dass sie falsch ist, wenn die beiden Prämissen wahr sind.
Das <Kernargument> ist strukturell klar und einfach. In einem Satz besagt es, dass die Populisten an die Macht kommen müssen, weil sie die einzige Rettung der Gesellschaft vor dem Untergang sind.
Donald Trumps Wahlkampfslogans beispielsweise beruhen auf diesem Argument. Sein wichtigster Slogan gibt Prämisse [Untergang] wieder: „Make America great again!“ Diese Aussage setzt voraus, dass Amerika nicht mehr großartig ist. Eingebettet in den Kontext seiner übrigen Rhetorik impliziert sie unmissverständlich, dass Amerika dem Untergang geweiht ist und gerettet werden muss.
Ein weiterer wichtiger Slogan von Trump gibt die Prämisse [Rettung] wieder: „Only I can fix it!“ Er impliziert, dass es kaputt ist und repariert werden muss. Worauf sich „es“ genau bezieht, ist nicht vollkommen klar. Vermutlich bezieht „es“ sich jedoch auf die amerikanische Regierung oder Gesellschaft. Trumps Slogan ist damit fast synonym mit der Prämisse [Rettung].
Die Konklusion [Macht] ist, wie bei natürlichsprachlichen Argumenten üblich, implizit:
[Macht]: Donald Trump muss an die Macht kommen.
In vielen Äußerungen von AfD-Politikerinnen und AfD-Politikern, aber auch im AfD-Wahlprogramm finden sich ebenfalls beide Prämissen. Die Prämisse [Untergang] lautet im Wahlprogramm: „Die Rechtsstaatlichkeit, insbesondere die Gewaltenteilung, muss wiederhergestellt und der Staat seine eigentlichen Kernaufgaben, insbesondere die Innere Sicherheit, wieder gewährleisten können.“ Dies impliziert, dass die Rechtsstaatlichkeit des deutschen Staates nicht mehr besteht und er seine Kernaufgaben nicht mehr gewährleistet. Oder in etwas anderen Worten: „Wir wollen unseren Nachkommen ein Land hinterlassen, das noch als unser Deutschland erkennbar ist.“ Hier impliziert die AfD: Wenn niemand eingreift, wird Deutschland bald nicht mehr als „unser“ Deutschland erkennbar sein. An beiden Stellen im AfD-Wahlprogramm wird also vorausgesetzt, dass Deutschland in der ein oder anderen Form vor dem Untergang steht und gerettet werden muss.
Die Prämisse [Rettung] steckt bereits im Namen der AfD. Sie beansprucht die Alternative für Deutschland zu sein: die einzige Partei, die nicht Teil einer „politischen Klasse“ ist, „deren vordringliches Interesse ihrer Macht, ihrem Status und ihrem materiellen Wahlergehen gilt“, wie es im Wahlprogramm heißt. Deutschland kann nur noch durch die AfD gerettet werden.
Sowohl die Prämisse [Untergang] als auch die Prämisse [Rettung] können weiter begründet werden. Das heißt, es können neue Argumente gemacht werden, die jeweils eine der beiden Prämissen stützen. Das AfD-Wahlprogramm ist voll von solchen Argumenten.
Die Prämisse [Untergang] wird durch die eingangs erwähnten Untergangsszenarien begründet. Diese gleichen sich in einem erstaunlichen Ausmaß über die verschiedenen populistischen Lager hinweg und nehmen eine wichtige Rolle im Wahlprogramm der AfD ein.
Die Begründung für die Prämisse [Rettung] besteht grundsätzlich in dem Alleinvertretungsanspruch, dass die AfD für das „wahre Volk“ spricht und nur sie allein. Die Kernaussage lautet:
<Rettung durch das Volk>: Die Populisten wollen als einzige Partei den Volkswillen verwirklichen.
Der Alleinvertretungsanspruch wird von Jan-Werner Müller als Definitionsmerkmal für Populismus benannt und findet sich fast wörtlich im AfD-Wahlprogramm. Die Begründung für die Prämisse [Rettung] lautet:

<Rettung durch das Volk>

(1)
[Verwirklichung des Volkswillens]: Die Gesellschaft kann nur gerettet werden, wenn der Volkswille verwirklicht wird.
(2)
[Stimme des Volkes]: Nur wenn die Populisten an die Macht kommen, wird der Volkswille verwirklicht.
(3)
[Rettung]: Die Gesellschaft kann nur gerettet werden, wenn die Populisten an die Macht kommen.
Die Gesellschaft könne also nur gerettet werden, wenn die Populisten an die Macht kommen, weil nur dann der Volkswille verwirklicht werde. Wie es in Kapitel 1.4 heißt, nur wenn die AfD ihre Forderungen verwirklichen könne, erhalte das „Volk (…) die Möglichkeit (…), eigene Gesetzesinitiativen einzubringen und per Volksabstimmung zu beschließen“.
Nur wenn das Volk auf diese Weise wieder zum Souverän werde, könne die Gesellschaft vor dem Untergang bewahrt werden. Oder mit den Worten der AfD in Kapitel 1.4: „Nach unserer Überzeugung können die fundamentalen Krisen von Währung, Energieversorgung und Migration sowie die Konfrontation mit dem Islam alleine weder von der Regierung noch vom Bundestag tragfähig bewältigt werden. Ohne eine unmittelbare Mitbestimmung der Bürger kann und darf dies auch nicht geschehen.“ Die AfD müsse also an die Macht kommen, um „dem Volk“ seine Stimme zu geben. Dies bringt die Prämisse [Verwirklichung des Volkswillens] auf den Punkt.
Das Kernargument kann in seiner erweiterten Form so rekonstruiert werden:

Populismus-Argument

(Die Zahlen hinter den Aussagen beziehen sich auf die Kapitel im AfD-Wahlprogramm.)
Im Wahlprogramm der AfD lassen sich drei Begründungen für die Prämisse [Stimme des Volkes] in der Form von Argumenten gegen die „Lügenpresse“, die „Altparteien“ und die Europäische Union finden. Schauen wir uns zunächst jedoch die Untergangsszenarien an, die die AfD als Begründungen für die Prämisse [Untergang] anführt.

2.1 Untergang

Die Prämisse [Untergang] des Kernarguments wird im AfD-Wahlprogramm auf verschiedene Weise begründet. Die AfD führt mindestens neun Argumente aus, die zeigen sollen, dass die Gesellschaft vor dem Untergang stehe und gerettet werden müsse. Sie sind hier stichpunktartig aufgelistet:
[Untergang]: Die Gesellschaft steht vor dem Untergang und muss gerettet werden.

+
<Zuwanderung>: Die „Flüchtlingskrise“ bedroht die Gesellschaft. (5)
+
<Kriminalität>: Die steigende Kriminalität und Terrorgefahr bedroht die Gesellschaft. (4)
+
<Islam>: Der Islam bedroht die Gesellschaft. (6)
+
<Leitkultur>: Das Verschwinden einer identitätsstiftenden Leitkultur bedroht die Gesellschaft. (8, 9)
+
<Globalisierung>: Die Globalisierung bedroht die Gesellschaft. (3)
+
<Ungerechtigkeit>: Soziale Ungerechtigkeit bedroht die Gesellschaft. (10, 11)
+
<Demographie>: Der demographische Wandel bedroht die Gesellschaft. (11)
+
<Gesundheitssystem>: Das Versagen des Gesundheitssystems bedroht die Gesellschaft. (12)
+
<Innovation>: Technologiefeindlichkeit bedroht die Gesellschaft. (13)
Diese neun Argumente sind teilweise miteinander verknüpft. Doch ein Thema zieht sich durch einen Großteil des Wahlprogramms, nämlich die „Flüchtlingskrise“.
Im Folgenden werde ich mit dem Argument <Zuwanderung> beginnen (Abschnitt 2.1.1) und daraufhin drei weitere Argumente im Detail erläutern. Die Argumente <Kriminalität> (in Abschnitt 2.1.2), <Islam> (in Abschnitt 2.1.3) und <Leitkultur> (in Abschnitt 2.1.4) sind nicht nur eng mit dem Argument <Zuwanderung> verknüpft, sondern spielen auch unabhängig davon eine wichtige Rolle für den Wahlkampf der AfD. Die übrigen Argumente werde ich abschließend gesammelt (in Abschnitt 2.1.5) diskutieren.
Hier ist eine Übersicht über die Argumente, die die Prämisse [Untergang] stützen:

Untergangsszenarien

(Die Farben beziehen sich auf die verschiedenen Argumentationsstränge. Das <Kernargument> ist dunkelgrün, das Argument <Zuwanderung> orange, <Kriminalität> grau, <Islam> braun, <Leitkultur> violett, <„EU-Diktat“> gelb, <„Lügenpresse“> hellgrün, <„Altparteien“> pink und alle nicht hervorgehobenen Argumente und Thesen blau.)

2.1.1 Zuwanderung

Sehen wir uns also das Argument <Zuwanderung> näher an, bevor wir auf die anderen Argumente eingehen, die zeigen sollen, dass der Untergang der Gesellschaft bevorsteht. Die zentrale These des Arguments lautet:
<Zuwanderung>: Die „Flüchtlingskrise“ bedroht die Gesellschaft. (5)
Ausführlich wird dieses Argument in Kapitel 5 des Wahlprogramms gemacht. Es kann in dieser Form rekonstruiert werden:

<Zuwanderung>

(1)
[Destabilisierung]: Die Zuwanderung nach Europa droht die Gesellschaft zu destabilisieren.
(2)
[Ungeeignete Maßnahmen]: Die momentanen Gesetze und Maßnahmen sind nicht geeignet, eine Destabilisierung zu verhindern.
(3)
[Untergang durch Destabilisierung]: Wenn die Gesellschaft sich zu destabilisieren droht und die momentanen Gesetze und Maßnahmen nicht geeignet sind, eine Destabilisierung zu verhindern, steht sie vor dem Untergang und muss gerettet werden.
(4)
[Untergang]: Die Gesellschaft steht vor dem Untergang und muss gerettet werden.
Das Argument besagt also, dass die Gesellschaft vor dem Untergang stehe und gerettet werden müsse, da die momentanen Gesetze und Maßnahmen nicht geeignet sind, ihre drohende Destabilisierung zu verhindern.
Die Konklusion ist identisch mit der Prämisse [Untergang] aus dem <Kernargument>. Die Prämisse [Destabilisierung] findet sich in Kapitel 5.1. Wörtlich schreibt die AfD dort, dass „Wanderungsbewegungen von Afrika nach Europa (…) unseren Kontinent in wenigen Jahren destabilisieren können“. In Kapitel 3.6 heißt es, dass durch „Masseneinwanderung (…) die Instabilität Deutschlands und Europas verstärkt“ werde.
Diese Prämisse wird selbst wiederum durch eine Reihe von Unterargumenten gestützt:
[Destabilisierung]: Die Zuwanderung nach Europa droht die Gesellschaft zu destabilisieren.

+
<„Überfremdung“>: Die Kulturen der Geflüchteten „überfremden“ die „deutsche Kultur“.
+
<Haushaltsbelastung>: Die Versorgung der Geflüchteten belastet den Staatshaushalt.
+
<Nachteil für Familien>: Der Fokus auf Geflüchtete benachteiligt „deutsche“ Familien.
+
<Kriminalität der Geflüchteten>: Geflüchtete sind überdurchschnittlich kriminell.
Das Argument <„Überfremdung“> findet sich am deutlichsten in den Kapiteln 8 und 9. Dort schreibt die AfD, dass die „Ideologie des ‚Multikulturalismus'“ die deutsche Leitkultur gefährde, dass der „in Europa bereits stattfindende Kulturkampf zwischen Abendland und dem Islam als Heilslehre und Träger von nicht integrierbaren kulturellen Traditionen und Rechtsgeboten (…) nur abgewendet werden (kann) durch ein Bündel von defensiven und restriktiven Maßnahmen, die eine weitere Zerstörung der europäischen Werte des Zusammenlebens aufgeklärter Bürger verhindern“, und dass sie nicht zulassen werde, „dass Deutschland aus falsch verstandener Toleranz sein kulturelles Gesicht verliert.“

Zuwanderung

Das Argument <Haushaltsbelastung> taucht immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen auf, wenn Mängel an der aktuellen Politik angeprangert werden und dafür Geflüchtete verantwortlich gemacht werden, am eindrücklichsten in den Kapiteln 5.2, 5.6 und 5.7. Im Zusammenhang mit den Argumenten <Globalisierung>, <Demographie> und <Gesundheitssystem> spielt die „Flüchtlingskrise“ eine zentrale Rolle. Beispielsweise mahnt die AfD, dass Geflüchtete die Sozialkassen belasten: „Die Mehrheit (der anerkannten Asylbewerber) wird mit hoher Sicherheit dauerhaft von Sozialleistungen leben.“ Denn, so heißt es in Kapitel 5.4, „die Freizügigkeit in der EU bzw. das Asylrecht (werden) missbraucht, um sich Zugang zum Sozialsystem zu verschaffen.“
Auch für Mängel in der Finanzierung des Schulsystems hält die AfD Geflüchtete potentiell für verantwortlich. So lautet der Titel von Kapitels 8.4: „Folgen der Massenimmigration: Nicht auf dem Rücken der Schüler“. Wie Schüler durch Geflüchtete „in ihrem Lernfortschritt behindert werden“, wird allerdings nicht ausgeführt.
Eine zentrale Rolle spielt die „Flüchtlingskrise“ für die Argumente <Kriminalität>, <Islam> und <Leitkultur>, wie wir im Folgenden sehen werden.

2.1.2 Kriminalität

Für die AfD ist die innere Sicherheit Deutschland ein ebenfalls entscheidendes Wahlkampfthema. Das Argument <Kriminalität> besagt, dass die steigende Kriminalität und Terrorgefahr die deutsche Gesellschaft bedroht.
Es wird durch das Unterargument <Kriminalität der Geflüchteten> gestützt, das ebenfalls die Prämisse [Destabilisierung] im Argument <Zuwanderung> stützt. Es findet sich in den einleitenden Worten des Kapitels 4 im AfD-Wahlprogramm: „Der Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche war der vorläufige Tiefpunkt einer ganzen Serie von Ereignissen, die zeigen, dass es um unsere Sicherheit schlecht bestellt ist.“
Es kann für die Rekonstruktion des Arguments <Kriminalität> folgendermaßen reformuliert werden:
[Kriminalitätsanstieg]: Durch den Anstieg von Kriminalität und Terror verschärft sich die Sicherheitslage dramatisch.
Gleichzeitig macht die AfD die Politik dafür verantwortlich, dass es um die innere Sicherheit aus ihrer Sicht „schlecht“ bestellt ist. Wörtlich schreibt sie in Kapitel 4.1: „Der erhebliche Anteil von Ausländern gerade bei der Gewalt- und Drogenkriminalität begegnet derzeit nur halbherzigen ausländerrechtlichen Maßnahmen.“
Das vollständige Argument lautet dann:

<Kriminalität>

(1)
[Kriminalitätsanstieg]: Durch den Anstieg von Kriminalität und Terror verschärft sich die Sicherheitslage dramatisch.
(2)
[Unzureichende Sicherheitsmaßnahmen]: Die momentanen Gesetze und Maßnahmen sind eine unzureichende Reaktion auf die sich dramatisch verschärfende Sicherheitslage.
(3)
[Untergang durch Kriminalität]: Wenn die Reaktion auf die sich dramatisch verschärfende Sicherheitslage unzureichend ist, steht die Gesellschaft vor dem Untergang und muss gerettet werden.
(4)
[Untergang]: Die Gesellschaft steht vor dem Untergang und muss gerettet werden.
Das Argument besagt also, dass die deutsche Gesellschaft vor dem Untergang stehe und gerettet werden müsse, da die politische Reaktion auf die sich dramatisch verschärfende Sicherheitslage unzureichend bleibt. Die Sicherheitslage verschärfe sich unter anderem deswegen dramatisch, weil zu viele Geflüchteten nach Deutschland kämen und hier Verbrechen und Terroranschläge begingen.

Kriminalität

Die Konklusion des Arguments <Kriminalität> ist wieder identisch mit Prämisse [Untergang] des Kernarguments.

2.1.3 Islam

Ein Argument, welches eng mit der „Flüchtlingskrise“ verbunden ist, aber auch einen ganz eigenen Stellenwert hat, ist <Islam>. Laut der AfD stellt „der Islam“ eine Bedrohung für die deutsche Gesellschaft dar.
Das Argument kann wie folgt rekonstruiert werden:

<Islam>

(1)
[Bedrohung durch Islam]: Der Islam bedroht die Gesellschaft, indem er ihre Kultur „überfremdet“ und sie durch Terroranschläge terrorisiert.
(2)
[Untergang durch „Überfremdung“ und Terror]: Eine Gesellschaft, die durch „Überfremdung“ ihre Kultur verliert und durch Terroranschläge terrorisiert wird, steht vor dem Untergang und muss gerettet werden.
(3)
[Untergang]: Die Gesellschaft steht vor dem Untergang und muss gerettet werden.
Während Prämisse [Untergang durch „Überfremdung“ und Terror] als implizit angenommen werden kann, findet sich Prämisse [Bedrohung durch Islam] fast wörtlich in Kapitel 6. Die AfD schreibt dort: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland. In der Ausbreitung des Islam und der Präsenz von über 5 Millionen Muslimen, deren Zahl ständig wächst, sieht die AfD eine große Gefahr für unseren Staat, unsere Gesellschaft und unsere Werteordnung.“

Islam

Die Bedrohung besteht laut AfD aus mindestens zwei Arten. Einerseits bedroht „der Islam“ den deutschen Staat und die deutsche Gesellschaft direkt durch „gewaltbereiten Salafismus und Terror“. Andererseits bedroht er die deutsche Gesellschaft und die deutsche Werteordnung durch einen „Kulturkrieg“ mit islamischen Staaten, die in Deutschland Moscheen bauen, und durch „religiösen Imperialismus“ in Form von Minaretten und Muezzin-Rufen.

2.1.4 Leitkultur

Ein weiterer Argumentationsstrang nimmt nicht nur für sich genommen eine herausgehobene Stellung im Wahlprogramm ein, sondern weist auch deutliche Überschneidungen mit dem Argument <Islam> auf. Die AfD warnt sehr eindringlich vor dem Verlust einer „deutschen Leitkultur“.
Auch in diesem Argumentationsstrang finden sich verschiedene miteinander verwandte Argumente. Die zentrale These der Argumentation kann so formuliert werden:
<Leitkultur>: Das Verschwinden einer identitätsstiftenden Leitkultur bedroht die Gesellschaft.
Die Argumente finden sich in den Kapiteln 8 und 9 des Wahlprogramms und können auf folgenden Weise zusammengefasst und rekonstruiert werden:

<Leitkultur>

(1)
[Gefahr für Leitkultur]: Die identitätsstiftende Leitkultur der Gesellschaft ist in Gefahr.
(2)
[Notwendigkeit von Leitkultur]: Die Gesellschaft kann ohne identitätsstiftende Leitkultur nicht bestehen.
(3)
[Untergang]: Die Gesellschaft steht vor dem Untergang und muss gerettet werden.
Das Argument besagt also, dass die deutsche Gesellschaft vor dem Untergang stehe und gerettet werden müsse, weil sie ihre identitätsstiftende Leitkultur verlöre.
Die Prämisse [Notwendigkeit von Leitkultur] wird beispielsweise in dem Argument <„Multikulturalismus“> explizit, das auch die Prämisse [Gefahr für Leitkultur] stützt. In Kapitel 9.1 schreibt die AfD: „Kultur ist nur als etwas wechselbezügliches Ganzes von Gesellschaften zu verstehen. ‚Multi-Kultur‘ ist Nicht-Kultur oder Parallelität von Kulturen und damit Ausdruck von Parallelgesellschaften, die stets zu innenpolitischen Konflikten und zur Funktionsunfähigkeit von Staaten führen.“
Die zentralen Argumente für Prämisse [Gefahr für Leitkultur] finden sich in Kapitel 7.1, 7.7, 8.6, 9.1 und 12.8. Sie lauten:
[Gefahr für Leitkultur]

+
<„Überfremdung“>: Die Kultur der Geflüchteten „überfremdet“ die Kultur der Gesellschaft.
+
<Familienbild>: Das traditionelle Familienbild verliert an Bedeutung.
+
<„Genderismus“>: „Genderismus“ gefährdet die Kultur der Gesellschaft.
+
<„Multikulturalismus“>: „Multikulturalismus“ gefährdet die Kultur der Gesellschaft.
So hält die AfD das, was sie als „Gender-Ideologie“ bezeichnet, für eine Gefahr für die Gesellschaft, da sie durch „staatlich geförderte Umerziehungsprogramme“ das traditionelle Familienbild beseitigen wolle und „Kinder und Jugendliche in Bezug auf ihre sexuelle Identität verunsichert, überfordert und in ihren Schamgefühlen verletzt“, wie sie in Kapitel 7.7 ausführt. „Gender-Ideologie“ sei verfassungsfeindlich. Das Argument <Familienbild> kann also als Teilargument von <„Genderismus“> angesehen werden. Laut AfD verliert das traditionelle Familienbild bereits dadurch an Bedeutung, weil es durch die „Gender-Ideologie“ bekämpft werde.
Ähnlich verhält es sich mit dem Argument <„Überfremdung“>, das als Teilargument von <„Multikulturalismus“> angesehen werden kann. Der „Multikulturalismus“ bedrohe die Gesellschaft, da sie dadurch ihr „kulturelles Gesicht“ verlöre, wie die AfD in Kapitel 9.1 schreibt. „Die Ideologie des ‚Multikulturalismus‘ gefährdet alle (…) kulturellen Errungenschaften“ der „deutschen Leitkultur“.
Alle vier Argumente stützen also die zentrale Prämisse [Gefahr für Leitkultur]. Die identitätsstiftende Leitkultur der Gesellschaft sei durch „Genderismus“, „Multikulturalismus“, durch „Überfremdung“ und den Verlust des traditionellen Familienbildes in Gefahr.

Leitkultur

2.1.5 Weitere Untergangsszenarien

Die anderen Argumente für Prämisse [Untergang] sind im AfD-Wahlprogramm weniger zentral und ausführlich. Doch auch sie stützen die Prämisse des Kernarguments, dass die Gesellschaft vor dem Untergang stehe und gerettet werden müsse.
Beispielsweise wird die Bedrohung für das Gesundheitssystem in Kapitel 12.1 nicht nur durch das Argument <Haushaltsbelastung> begründet, sondern auch mit dem Versagen des Euros und der europäischen Finanzpolitik in Kapitel 2. Im Wahlprogramm der AfD heißt es wörtlich: „Die von den Kassen zu tragenden Kosten für Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber laufen aus dem Ruder und durch die verfehlte Zinspolitik der europäischen Zentralbank können die kapitalgedeckten privaten Krankenversicherungen keine ausreichenden Rücklagen mehr bilden.“
Ganz analog begründet die AfD, warum die deutsche Gesellschaft vor einem demographischen Kollaps steht. Auch hier werden die Geflüchteten nicht als möglicher Teil einer Lösung gesehen, sondern ausschließlich als Belastung für den Staatshaushalt und damit als Teil des Problems. In Kapitel 11.4 fordert die AfD, die derzeitige Migrationspolitik sofort zu beenden, um die Rentenversicherung mit staatlichen Transferzahlungen finanzieren zu können: „Die zur Zeit dort mobilisierten jährlichen Milliardenbeträge, mit steigender Tendenz für die Zukunft, müssen in die Stabilisierung der Alterssicherung der deutschen Bevölkerung umgelenkt werden.“
Die beiden Unterargumente <Haushaltsbelastung> und Euro-Politik spielen auch für das Argument <Globalisierung> eine wichtige Rolle. Das Argument besagt, dass der Nationalstaat momentan nicht in der Lage sei, sich den Herausforderungen der Globalisierung zu stellen, weil er durch „Flüchtlingskrise“, „EU-Diktat“ und „Altparteien“ geschwächt sei.
Der Nationalstaat werde erstens dadurch geschwächt, dass die Zuwanderung den Staatshaushalt belaste. Er werde zweitens geschwächt, weil die EU ihn in seiner Funktion „eingeschränkt bzw. dauerhaft zerstört“ hat, heißt es in Kapitel 1.1 des Wahlprogramms. Und drittens werde er durch die Korruption und Unfähigkeit der „Altparteien“ geschwächt. Dies wird in Kapitel 1.3 des AfD-Wahlprogramms ausgeführt: „Es hat sich eine politische Klasse herausgebildet, deren vordringliches Interesse ihrer Macht, ihrem Status und ihrem materiellen Wohlergehen gilt.“
Laut AfD ist die Korruption und Unfähigkeit der „Altparteien“ neben „EU-Diktat“, „Flüchtlingskrise“ und Euro-Politik eine der Hauptursachen für die momentane Schwäche des deutschen Nationalstaats. Explizit wird das in den Kapiteln 3 und 10 des AfD-Wahlprogramms.
Ein letztes Argument, das erwähnt werden sollte und die Prämisse [Untergang] stützt, kann folgendermaßen rekonstruiert werden:

<Innovation>

(1)
[Innovationsfeindliche Stimmung]: In der Gesellschaft macht sich eine zunehmende Technologiefeindlichkeit breit.
(2)
[Untergang ohne Innovation]: Ohne technologische Innovationen und wirtschaftlichen Freiraum steht die Gesellschaft vor dem Untergang und muss gerettet werden.
(3)
[Untergang]: Die Gesellschaft steht vor dem Untergang und muss gerettet werden.
Das Argument besagt, dass die deutsche Gesellschaft aufgrund einer zunehmenden Technologiefeindlichkeit vor dem Untergang stehe und gerettet werden müsse. Für die Prämisse [Innovationsfeindliche Stimmung] in Kapitel 13.3 wird angeführt, dass die Energiewende auf Unwahrheiten basiere und technologische Innovation verhindere.
In Kapitel 13.1 leugnet die AfD explizit den Klimawandel. Passend zur in dem Strategiepapier der AfD getätigten Selbstdiagnose, dass die Grünen „der eigentliche politische Gegner der AfD“ seien, beklagt sie eine „grüne Technologiefeindlichkeit“ und spricht sich für eine „ideologiefreie Forschung“ aus. Die AfD sieht Deutschland ohne technologische Innovationen und wirtschaftlichen Freiraum vor dem Untergang, wie sie in Kapitel 13.3 schreibt: „Als rohstoffarmes Land kann uns nur eine technologische Spitzenposition langfristig den Wohlstand erhalten.“
Hier ist eine vollständige Übersicht über die neun Argumente, die die Prämisse [Untergang] stützen:

Untergang

Alle neun Argumente für einen Untergang der deutschen Gesellschaft haben Prämisse [Untergang] des Kernarguments als Konklusion. Sie können mit nur sehr wenig Zusatzannahmen als logisch gültige Argumente rekonstruiert werden und zeichnen sich daher durch eine hohe argumentative Stärke aus. Die Rekonstruktion der Untergangsargumente zeigt, dass die AfD eine argumentative Strategie verfolgt und keineswegs nur unbegründete Behauptungen aufstellt.
Die Kritik am AfD-Wahlprogramm muss daher auf die angenommenen Prämissen gerichtet sein. Sie basieren teilweise auf Vereinfachungen, falschen Hintergrundannahmen oder Unwahrheiten (unter anderem das, was man häufig „Fake News“ nennt) und teilweise auf problematischen Werturteilen. Die Rekonstruktion der Untergangsargumente zeigt ebenfalls, wo man bei einer solch inhaltlichen Kritik sinnvoll ansetzen könnte.

2.2 Rettung

In einem zweiten Schritt wollen wir nun die Argumente für die Prämissen [Rettung] und [Stimme des Volkes] genauer analysieren. Gerettet werden kann Deutschland laut AfD nur, wenn der Volkswille verwirklicht wird.
Der relevante Teil des Kernarguments lautet:

<Rettung durch das Volk>

(1)
[Verwirklichung des Volkswillens]: Die Gesellschaft kann nur gerettet werden, wenn der Volkswille verwirklicht wird.
(2)
[Stimme des Volkes]: Nur wenn die Populisten an die Macht kommen, wird der Volkswille verwirklicht.
(3)
[Rettung]: Die Gesellschaft kann nur gerettet werden, wenn die Populisten an die Macht kommen.
Entscheidend ist also die Prämisse [Stimme des Volkes]. Drei zentrale Argumente, die diese Prämisse stützen, lassen sich im Wahlprogramm ausmachen.
Die AfD argumentiert erstens, dass die „Altparteien“ korrupt und unfähig seien und deswegen sie die einzige Alternative sei, um Deutschland zu retten. Zweitens fordere nur die AfD einen EU-Austritt, ohne den Deutschland dem Untergang geweiht sei.
Diese beiden Argumente finden sich direkt und sehr prominent in Kapitel 1 des Wahlprogramms. Die AfD argumentiert dafür, dass nur sie den Volkswillen verwirklichen wolle. Das heißt, sie argumentiert, dass nur sie eine „wahre“ Alternative für Deutschland sei, weil die „Altparteien“ korrupt und unfähig seien und die EU Demokratie faktisch unmöglich mache.
Das dritte Argument für Prämisse [Rettung] findet sich in Kapitel 9: Die „Lügenpresse“ stecke mit den „Altparteien“ unter einer Decke, schränke die Meinungsfreiheit ein und stehe dadurch einer Verwirklichung des Volkswillens im Wege. Nur die AfD benenne die „wahren“ Probleme der Gesellschaft, durchbreche die Tabus der „politischen Korrektheit“ und erkenne, was „das Volk“ wirklich will.
Die Prämisse [Stimme des Volkes] wird also durch drei Argumente gestützt:
[Stimme des Volkes]: Nur wenn die Populisten an die Macht kommen, wird der Volkswille verwirklicht.

+
<„Altparteien“>: Die „Altparteien“ verhindern, dass der Volkswille verwirklicht wird. (1)
+
<„Lügenpresse“>: Die „Lügenpresse“ verhindert, dass der Volkswille verwirklicht wird. (9)
+
<„EU-Diktat“>: Die Europäische Union verhindert, dass der Volkswille verwirklicht wird. (1)
Bemerkenswert ist hier, dass die drei Argumente mindestens zwei Funktionen erfüllen. Einerseits sollen sie begründen, dass die AfD die einzige Rettung für Deutschland sei. Andererseits zeichnen sie die AfD aber auch in ihrer Opferrolle als alleinige Kämpferin gegen das System. Sie kann sich als marginalisierte Partei außerhalb des Systems darstellen, die für die „einfachen Leute“, für „die Deutschen“ spricht. Diese zweite Funktion ist allerdings nicht argumentativer, sondern rhetorischer Natur und hat damit keinen Einfluss auf die Stärke des Arguments.

2.2.1 Altparteien

Im ersten Argument wird das politische System explizit als Feindbild dargestellt. Es kann wie folgt rekonstruiert werden:

<„Altparteien“>

(1)
[Volksferne der „Altparteien“]: Im Gegensatz zu den Populisten wollen und können die „Altparteien“ den Volkswillen nicht verwirklichen.
(2)
[Alternativlosigkeit]: Außer den „Altparteien“ können nur die Populisten an die Macht kommen.
(3)
[Verwirklichung durch Macht]: Der Volkswille wird nur verwirklicht, wenn eine Partei an die Macht kommt, die den Volkswille verwirklichen will und kann.
(4)
[Stimme des Volkes]: Nur wenn die Populisten an die Macht kommen, wird der Volkswille verwirklicht.
Während die Prämisse [Volksferne der „Altparteien“] besagt, dass die „Altparteien“ im Gegensatz zur AfD die Nähe zum Volk verloren hätten, besagt die Prämisse [Alternativlosigkeit], dass nur die Populisten eine realistische Macht-Alternative zu den „Altparteien“ seien. Zusammen mit der Prämisse [Verwirklichung durch Macht] folgt die Konklusion, dass der Volkswille nur dann verwirklicht wird, wenn die AfD an die Macht kommt.
So fordert die AfD in Kapitel 1.3, die Macht dem „Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland“ zurückzugeben und das „Volk (…) wieder zum Souverän“ zu machen. In Kapitel 1.4 kritisiert die AfD dann die Regierung: „Im Gegensatz zur CDU und ihrer Kanzlerin halten wir das deutsche Volk für ebenso mündig wie das der Schweizer, der Briten, der Franzosen, der Italiener und der Niederländer.“
Die Prämisse [Volksferne der „Altparteien“] wird jedoch noch weiter begründet:

<Volksferne durch Korruption und Unfähigkeit>

(1)
[Korruption und Unfähigkeit]: Die „Altparteien“ sind korrupt und unfähig.
(2)
[Wollen und Können]: Wenn die „Altparteien“ korrupt und unfähig sind, dann wollen und können sie den Volkswillen nicht verwirklichen.
(3)
[Volksferne der „Altparteien“]: Die „Altparteien“ wollen und können den Volkswillen nicht verwirklichen.
Da die „Altparteien“ korrupt und unfähig seien, wollen und können sie den Volkswillen nicht verwirklichen. Die Prämisse [Korruption und Unfähigkeit] findet sich fast wörtlich im Wahlprogramm. In Kapitel 1.7 heißt es: „Die Allmacht der Parteien und deren Ausbeutung des Staates gefährden unsere Demokratie.“ Der momentane Zustand des Parteiensystems sei prekär. Denn „(z)ahlreiche Gesetze haben die Gewaltenteilung in Deutschland über die Jahre erodieren lassen und zu einer überbordenden Staatsgewalt geführt“, wie es im Kapitel 1.5 heißt.
Die AfD müsse also an die Macht kommen, um „dem Volk“ seine Stimme zu geben. Die Korruption und Unfähigkeit der „Altparteien“ verhindere, dass die Probleme in Deutschland gelöst werden. Nur „das Volk“ könne dies noch tun.
Das gesamte Argument hat die folgende Struktur:


Altparteien

2.2.2 Lügenpresse

Das zweite zentrale Argument dreht sich um das Feindbild der „Lügenpresse“. Im 2016 entstandenen Strategiepapier wird als eine der Schwächen der AfD benannt, dass weite „Teile der Medienlandschaft gegenüber der AfD überzogen kritisch bis feindlich eingestellt“ seien.
Der Begriff „Lügenpresse“ wird zwar als solcher nicht genannt. Auch ist das Argument im AfD-Wahlprogramm weniger explizit als die anderen Argumente ausgearbeitet. Es kann allerdings so rekonstruiert werden:

<„Lügenpresse“>

(1)
[Zensur der Meinungsfreiheit]: Die Meinungsfreiheit wird nur dann keiner Beschränkung oder Zensur unterliegen, wenn die „Lügenpresse“ abgeschafft wird. (9.5)
(2)
[Abschaffung der „Lügenpresse“]: Die „Lügenpresse“ wird nur abgeschafft, wenn die Populisten an die Macht kommen.
(3)
[Volkswille nur ohne Zensur]: Der Volkswille wird nur verwirklicht, wenn die Meinungsfreiheit keiner Beschränkung oder Zensur unterliegt.
(4)
[Stimme des Volkes]: Nur wenn die Populisten an die Macht kommen, wird der Volkswille verwirklicht.
Die zentrale Prämisse des Arguments ist [Zensur der Meinungsfreiheit]. Sie wird gestützt durch ein Unterargument, dessen Kernaussage lautet:
<Meinungsdiktat im öffentlichen Diskurs>: Durch die Gleichschaltung der „Lügenpresse“ und das Instrument der politischen Korrektheit herrscht ein Meinungsdiktat im öffentlichen Diskurs.
In Kapitel 1.7 des AfD-Wahlprogramms heißt es dazu: „(Die) Allmacht (der Parteien) ist auch Ursache (…) der freiheitsbeschränkenden ‚politischen Korrektheit‘ sowie des Meinungsdiktats in allen öffentlichen Diskursen.“ Es kann so rekonstruiert werden:

<Meinungsdiktat im öffentlichen Diskurs>

(1)
[„Politische Korrektheit“]: Wenn die „Lügenpresse“ herrscht, bedienen die Parteien sich des Instruments der „politischen Korrektheit“ und haben die Presse „gleichgeschaltet“.
(2)
[Meinungsdiktat]: Wenn die Parteien sich des Instruments der „politischen Korrektheit“ bedienen und die Presse „gleichgeschaltet“ haben, wird die Meinungsfreiheit beschränkt und zensiert.
(3)
[Zensur der Meinungsfreiheit]: Die Meinungsfreiheit wird nur dann keiner Beschränkung oder Zensur unterliegen, wenn die „Lügenpresse“ abgeschafft wird.
Die Prämisse [Meinungsdiktat] ist sicherlich am interessanten, da sie einen klassischen Topos der AfD aufgreift. Es findet sich in Kapitel 9.2: „‚Politisch korrekte‘ Sprachvorgaben lehnen wir entschieden ab, weil sie (…) die Meinungsfreiheit einengen.“
Die Prämisse [„Politische Korrektheit“] ist eher begrifflicher Natur und damit weniger problematisch. Sie kann als Teil-Definition von „Lügenpresse“ verstanden werden. Sie findet sich im Gegensatz zu der problematischeren Prämisse [Meinungsdiktat] im Wahlprogramm nur implizit.
Bemerkenswert bei dem Argument <Meinungsdiktat im öffentlichen Diskurs> ist die Tatsache, dass es gültig und gleichzeitig keine Prämisse klarerweise falsch ist. Es hat die folgende Struktur:


Lügenpresse

Spannend sind daher die Voraussetzungen der einzelnen Prämissen. So besagen die Prämissen [Abschaffung der „Lügenpresse“] und [Zensur der Meinungsfreiheit], dass die „Lügenpresse“ nur abgeschafft werde, wenn die Populisten an die Macht kommen beziehungsweise wenn die Meinungsfreiheit keiner Beschränkung oder Zensur unterliegen. Beide Prämisse setzen also voraus, dass es bereits eine „Lügenpresse“ gibt.

2.2.3 EU-Diktat

Wenden wir uns nun dem dritten und letzten Argument für die Prämisse [Rettung] zu. Es greift das Feindbild der Europäischen Union auf. Seine zentrale Aussage lautet:
<„EU-Diktat“>: Die Europäische Union verhindert, dass der Volkswille verwirklicht wird.
Das Argument <„EU-Diktat“> ist am ausführlichsten im AfD-Wahlprogramm selbst ausgearbeitet. Es kann wie folgt rekonstruiert werden:

<„EU-Diktat“>

(1)
[Keine Verwirklichung des Volkswillens innerhalb der EU]: Der Volkswille wird nur verwirklicht, wenn wir aus der EU austreten.
(2)
[Austritt aus EU]: Nur die Populisten haben das politische Ziel, aus der EU auszutreten.
(3)
[Stimme des Volkes]: Nur wenn die Populisten an die Macht kommen, wird der Volkswille verwirklicht.
Der interessanteste Teil der Argumentation ist das Unterargument für die Prämisse [Keine Verwirklichung des Volkswillens innerhalb der EU]. Seine zentrale Aussage lautet:
<Keine Demokratie innerhalb der EU>: Nur wenn wir aus der EU austreten, kann die Demokratie wiederhergestellt werden.
Es folgt einer klaren und einfachen Logik:

<Keine Demokratie innerhalb der EU>

(1)
[Keine Nationalstaatlichkeit innerhalb der EU]: Ohne EU-Austritt gibt es keine Nationalstaatlichkeit.
(2)
[Ohne Nationalstaatlichkeit, keine Volkssouveränität]: Ohne Nationalstaatlichkeit gibt es keine Volkssouveränität.
(3)
[Ohne Volkssouveränität, keine Demokratie]: Ohne Volkssouveränität gibt es keine Demokratie.
(4)
[Ohne Demokratie, kein Volkswille]: Der Volkswille wird nur verwirklicht, wenn die Demokratie wiederhergestellt wird.
(5)
[Keine Verwirklichung des Volkswillens innerhalb der EU]: Der Volkswille wird nur verwirklicht, wenn wir aus der EU austreten.
Die Prämissen [Keine Nationalstaatlichkeit innerhalb der EU] und [Ohne Nationalstaatlichkeit, keine Volkssouveränität] beschwören die EU als Feind der Nationalstaatlichkeit und der Volkssouveränität. Die AfD schreibt in Kapitel 1.1: „Mit den Verträgen von Schengen, Maastricht und Lissabon wurde rechtswidrig in die unantastbare Volkssouveränität eingegriffen. Ein Staat, der das Grenzregime und damit die Hoheit über sein Staatsgebiet aufgibt, löst sich auf. Er verliert seine Eigenstaatlichkeit.“
Die Prämisse [Ohne Volkssouveränität, keine Demokratie] lautet in den Worten der AfD: „Nur (in nationalen Staaten) kann Volkssouveränität gelebt werden, die Mutter und das Herzstück der Demokratie.“
Die Prämisse [Ohne Demokratie, kein Volkswille] ist implizit, findet sich ansatzweise jedoch in der Überschrift des Kapitel 1: „Wiederherstellung der Demokratie in Deutschland“. Der Tenor des Kapitels besteht in der Forderung, dass die Demokratie in Deutschland wiederhergestellt werden müsse, da die Gesellschaft sonst dem Untergang geweiht sei. So heißt es gleich zu Beginn des Kapitels: „Die Rechtsstaatlichkeit, insbesondere die Gewaltenteilung, muss wiederhergestellt und der Staat seine eigentlichen Kernaufgaben, insbesondere die Innere Sicherheit, wieder gewährleisten können.“
Die Konklusion [Keine Verwirklichung des Volkswillens innerhalb der EU] folgt logisch aus diesen Prämissen. Die Konklusion selbst fungiert wiederum als zentrale Prämisse in dem obigen Argument <„EU-Diktat“>, welches selbst die Prämisse [Stimme des Volkes] in dem Kernargument des Populismus stützt. Das gesamte Argument hat die folgende Struktur:


EU-Diktat

Damit führen drei unabhängige Argumentationsstränge zur Prämisse [Stimme des Volkes] des Kernarguments. Erstens sei die AfD die einzige Alternative, weil im Gegensatz zu den unfähigen und korrupten „Altparteien“ nur die AfD den „Volkswillen“ verwirklichen kann und will. Zweitens könne nur die AfD Deutschland vor dem Untergang bewahren, weil nur sie sich gegen die „Lügenpresse“ stelle, die Probleme benenne und die Interessen „des Volkes“ im öffentlichen Diskurs repräsentiere. Drittens bestehe die Rettung für Deutschland allein in der AfD, weil nur sie den EU-Austritt fordere, der die Volkssouveränität und Demokratie in Deutschland wiederherstellen könnte.
Dies ist eine Übersicht über die Argumentation um die [Stimme des Volkes]:


Rettung

3. Fazit

Insgesamt ist zu erkennen, dass die AfD ein argumentativ sehr stringentes Wahlprogramm vorgelegt hat. Hier ist die vollständige argumentative Rekonstruktion des Wahlprogramms:


Übersicht

Die Taktik, die die AfD und allgemein Rechtspopulisten anwenden, besteht darin, falsche oder vereinfachende Behauptungen aufzustellen, die emotional ihre Unterstützer ansprechen und gleichzeitig eine stringente Argumentation ermöglichen.
Dies führt dazu, dass es relativ leicht ist, mit den expliziten Aussagen im Wahlprogramm der AfD deduktiv gültige Argumente zu rekonstruieren, bei denen die ergänzten Prämissen vergleichsweise unkontrovers oder unproblematisch sind. In den wenigen Fällen, in denen die ergänzten Prämissen kontroverser oder problematischer sind, folgen sie implizit aus den Aussagen im AfD-Wahlprogramm. Das führt dazu, dass die Argumentation der AfD leicht nachvollziehbar ist und einfach in eine logisch gültige Form gebracht werden kann.
Inhaltlich ist bemerkenswert, dass sich durch die meisten Argumente das zentrale Thema der „Flüchtlingskrise“ zieht. Sie ist verantwortlich für Probleme im Gesundheitssystem, durch soziale Ungerechtigkeit, die Globalisierung und den demographischen Wandel, in der inneren Sicherheit und natürlich stellt sie eine massive Bedrohung für die deutsche Leitkultur dar. Die EU, die „Altparteien“ und die „Lügenpresse“ sind die drei großen Hindernisse für die Lösung dieser Probleme.
Die AfD macht nicht nur keine praktikablen Lösungsvorschläge für die von ihnen benannten Probleme. Dadurch dass sie die öffentliche Debatte in ihrem Sinn beeinflusst, geraten die tatsächlichen Probleme, die es in der deutschen Gesellschaft gibt, in den Hintergrund oder werden aktiv ignoriert. Faktisch bieten weder die AfD noch Donald Trump Lösungen an für die drohende Klimakatastrophe, für die globalen Folgen von Migration und Vertreibung, für die soziale Ungerechtigkeit in der Welt oder für die Herausforderungen durch die demographische Überalterung der westlichen Gesellschaften. Ein Blick in das AfD-Wahlprogramm oder auf Donald Trumps Regierungsbilanz zeigt dies auf eindrückliche Weise. Es spielt für Rechtspopulisten keine Rolle, ob ihre politischen Forderungen sinnvoll, praktikabel oder überhaupt nur halbwegs konsistent sind.
Die Steuerpolitik der AfD beispielsweise würde entgegen ihrer Behauptung nicht dem „einfachen Bürger“ nützen, sondern den bereits wohlhabenden Bevölkerungsgruppen. Die Ablehnung des Klimawandels ist kurzsichtige Interessenpolitik. Donald Trumps Ankündigung, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen, und sein Hetzen gegen Latinos ist Stimmungsmache, die nichts gegen das tatsächlich bestehende Problem der illegalen Einwanderung und Drogenkriminalität ausrichtet. Und auch die Familienpolitik der AfD ist bestenfalls impraktikabel, da ein Ausgleich der Überalterung allein aus „deutschstämmigen“ Familien nicht nur rassistisch, sondern auch realitätsfern ist.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Strategie der AfD aus drei Schritten besteht:
  • Erstens, die AfD nutzt gezielt Emotionen wie Angst, Wut und Empörung. Sie spricht diese Emotionen an – seien diese nun begründet oder nicht. Dies bringt ihr Aufmerksamkeit und Zustimmung bei bestimmten Wählergruppen.
  • Zweitens, die AfD baut Untergangsszenarien auf und heizt die angesprochenen Emotionen an. Sie nutzt dabei Vorurteile und setzt auf bereits bestehende Feindbilder. Am ausführlichsten und effektivsten ist ihr dies mit der Bedrohung durch die „Flüchtlingskrise“ und den „Islam“ gelungen.
  • Drittens, die AfD präsentiert sich als die einzige Rettung, als letzte Alternative für Deutschland. Während die anderen Parteien und politischen Akteure als korrupt, unfähig, als „EU-Diktat“, „Lügenpresse“ und „Altparteien“ angesehen werden, beansprucht die AfD die „Stimme des Volkes“ zu sein und sich allein wirklich für dessen Interessen einzusetzen.
Die AfD nutzt also die mobilisierende Kraft von Angst, Wut und Empörung, indem sie eine bedrohte Gemeinschaft des „deutschen Volkes“ konstruiert. „Wir, das Volk“, werden durch Geflüchtete und den Islam bedroht und können nur gerettet werden, wenn „wir“ uns gegen „die da oben“ durchsetzen.

Literatur

  • Betz, Gregor; Brun, Georg (2016): Analysing Practical Argumentation. In: Sven Ove Hansson und Gertrude Hirsch Hadorn (Hg.): The Argumentative Turn in Policy Analysis. Reasoning about Uncertainty. 1. Aufl. Dordrecht: Springer, S. 39–77.
  • Müller, Jan-Werner (2016): Was ist Populismus? Ein Essay. Berlin: Suhrkamp (Edition Suhrkamp).
  • Prantl, Heribert (2017): Gebrauchsanweisung für Populisten. Wie man dem neuen Extremismus das Wasser abgräbt. 1. Aufl. Salzburg, München: Ecowin.
  • Priester, Karin (2012): Wesensmerkmale des Populismus. Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 5-6/2012)
(Diese Analyse ist auch unter als ITZ-Diskussionspapier verfügbar.)
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